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Autorenbild Crane

A Suicide Note to my Best Friend

CN: Suizid

Digitale Zeichnung einer Hand vor einem roten Hintergrund, die nach einem briefumschlag greift, der in der Luft schwebt.

Wenn du diesen Brief hier liest, dann bin ich tot.

Es ist schon witzig… ich weiß, „witzig“ klingt vollkommen verkehrt in diesem Zusammenhang, aber ich weiß nicht, wie ich es sonst beschreiben sollte. In Wahrheit ist es wohl eher dramatisch oder tragisch, wenn man den Anlass dieses Briefes betrachtet… aber du weißt, wie wirr und abstrakt meine Gedankengänge oft sind.

Als ich den ersten Satz auf dieses Blatt hier geschrieben habe ist mir aufgefallen, dass dieser Anfang einem Satz am Ende des anderen Briefes gleicht, den ich dir hiermit zukommen lasse… „Solltest du diesen Brief hier bis hierhin gelesen haben, dann bin ich wahrscheinlich entweder tot oder sitze in irgendeiner Anstalt“. Nun, jetzt weiß ich, dass Ersteres der Fall sein wird.

Ich glaube nicht, dass ich dir wirklich erklären kann, was in mir vorgeht. Wie düster meine Gedanken geworden sind, wie weit ich hinabgezogen wurde in einen finsteren Abgrund, in dem das Atmen immer schwerer wird… als würde man tauchen und spüren, wie der Druck um einen herum stärker und stärker wird. Es ist unmöglich, den Druck lange zu ertragen, und während ich diese Zeilen hier schreibe fühle ich mich, als wäre ich am Boden des Mariannengrabens angekommen.

Der tiefste Punkt der Erde. Kein Licht dringt hier hinab, kein Geräusch. Ich verharre in der Stille, ohne jemanden zu sehen, zu hören, zu spüren.

Wann es so schlimm geworden ist kann es nicht sagen. Es war ein schleichender Prozess, ich habe ihn gar nicht wirklich wahrgenommen. War schließlich auch mit anderen Dingen beschäftigt. Mit dir… und mit Raya. Ich wollte dich einfach beschützen, und meine eigenen Probleme waren nebensächlich…

Wenn du die Briefe in der Reihenfolge gelesen hast, wie ich sie auf den Umschlägen vermerkt habe, dann weißt du, was ich getan habe. In diesem Fall möchte ich dir sagen, dass ich dir unglaublich dankbar bin, dass du dir dennoch noch die Zeit nimmst, diesen Brief hier zu lesen… obwohl ich dafür verantwortlich bin, dass du die Person verloren hast, die du so sehr geliebt hast. Auch wenn sie deine Liebe nicht verdient hatte…

Hasst du mich jetzt? Hat dieser Brief all die Wunden wieder aufgerissen, die doch grade erst verheilt waren? Es tut mit leid wenn dem so ist, aber du verdienst es, die ganze Wahrheit zu kennen. Damals dachte ich, ich könnte damit leben. Wahrscheinlich könnte ich das auch, wenn es nur um sie ginge und nicht um dich, aber in dem Fall hätte ich sie ja auch gar nicht getötet. Aber ich kann es nicht ertragen, dich anzulügen… auch wenn es wahrscheinlich besser wäre, es einfach ruhen zu lassen.

Es tut mir leid, was ich getan habe. Damals dachte ich, es wäre die einzige Möglichkeit, um dich zu beschützen, aber heute ist mir klar… es war nicht richtig. Ich trauere immer noch nicht um sie, aber als ich mir den Brief über das Geschehene noch einmal durchgelesen habe, ist sogar mir aufgefallen, wie bösartig ich geklungen habe.

Ich war so wütend, als ich diesen Brief geschrieben habe. Wütend und gleichzeitig nervös, überfordert. Ich glaube damals war mir gar nicht wirklich klar, was ich getan hatte… was das zu bedeuten hatte. Und als ich dann meine eigenen Worte noch einmal gelesen habe, all diese Schilderungen als hätte ich keinen Brief, sondern eine Geschichte geschrieben; erst dann ist es mir wirklich bewusst geworden.

Ich bin ein Mörder.

Ich habe Raya ermordet, und dafür gibt es keine Entschuldigung, auch wenn ich mir selbst eingeredet habe, einen Grund gehabt zu haben. Wie gesagt, ich trauere nicht um sie, das kann ich einfach nicht. Du kennst mich, du weißt, dass es allgemein nur sehr wenige Leute gibt um die ich trauern könnte.

Aber ich widere mich selbst an. Ich kann nicht fassen, wie tief ich gesunken bin. Ich mag kaum Empathie besitzen und mit den meisten Menschen nichts anfangen können; ich mag von Gefühlen und Verhaltensweisen grundsätzlich verwirrt sein.

Aber ich bin ein Mörder, und das kann ich nicht entschuldigen.

Es hat geholfen es aufzuschreiben, ja, aber bloß für den Moment. Die Erleichterung hielt nicht an. Verschwand schon nach wenigen Stunden. Und spätestens da bin ich gefallen, hinabgezogen worden in die Finsternis des Mariannengrabens.

Es ging mir vorher schon schlecht. Die Gedanken waren bereits da, die ganze Zeit über, auch, wenn ich sie nicht wirklich bewusst wahrgenommen habe. Als ich den Brief geschrieben habe, als ich Raya umgebracht habe, als ich den Plan dafür entwickelt hatte. Wie gesagt, ich weiß nicht, wann es angefangen hat. Aber wahrscheinlich hatte es nach meinem ersten Versuch vor vier Jahren, mein Leben zu beenden, niemals wieder wirklich aufgehört.

Das hier soll keine Entschuldigung sein, denn es gibt keine Entschuldigung für das, was ich getan habe. Ich habe ein Leben beendet, ich bin ein Mörder. Und dass ich mir eingeredet habe, einen Grund dafür zu haben, macht das Ganze kein Stück besser.

Aber ich will dir einfach sagen, dass da die ganze Zeit über diese Gedanken waren; Tag und Nacht, die immer wieder auftauchten wie Szenen aus einem Film. Finstere Gedanken, wütende Gedanken, blutige Gedanken.

Wie oft habe ich mir vorgestellt, es einfach zu beenden; mir einen Strick zu knüpfen, mir die Pulsadern aufzuschneiden, mich von einer Brücke zu stürzen… Letzteres hätte ich niemals gekonnt, dafür wäre meine Höhenangst zu groß gewesen.

Bescheuert, nicht wahr? Sterben wollen, aber zu viel Angst vor dem Blick nach unten zu haben.

Die Gedanken waren immer da, sorgten dafür dass ich schlecht schlief, angespannt war, oft nicht wirklich mitbekam, was um mich herum geschah. Als wäre ich abgeschottet von der Außenwelt. Ich habe mich verfolgt gefühlt, egal wo ich war. Wenn sich irgendwo Leute unterhielten war ich immer der Überzeugung, dass es um mich ginge, dass sie über mich lästerten, auch, wenn ich sie überhaupt nicht kannte. Ich habe Schatten gesehen die auf mich zukrochen, die nach mir griffen, und das am helllichten Tag, und nachts starrte ich stundenlang an die Decke und lauschte tonlosen Stimmen, die sich Dinge zuflüsterten die ich nicht verstehen konnte.

Unzählige Male bin ich aufgewacht und habe gemerkt, dass ich mich nicht bewegen konnte, und dann sah ich eine unmenschliche Kreatur vor mir, die auf mir hockte und mich mit ihrem Blick zu durchbohren schien, obwohl sie noch nicht einmal Augen besaß. Dort wo, meiner Vorstellung nach zumindest, das Gesicht hätte sein sollen, war bloß eine mit Furchen durchzogene Fläche, und die fangarmartigen Auswüchse des Dinges bewegten sich langsam auf mich zu, und ich konnte nichts tun außer starr dazuliegen und das Geschehen zu beobachten…

Es hat mich nie wirklich berührt, ich bin immer vorher aus der Paralyse erwacht, doch änderte das nichts daran, dass diese Kreatur unfassbare Ängste in mir auslöste. Beinahe jede Nacht war sie da, und nie hat sie etwas anderes getan als einfach dazuhocken… Diese Schlafparalysen kenne ich seit meiner Kindheit. Doch sie waren nie derart intensiv, so furchteinflößend gewesen wie in den letzten Monaten.

Heute ist mir klar, dass ich krank war. Paranoid. Dass ich in einer Realität lebte die keine war, dass so viele Dinge die ich zu sehen und zu hören glaubte, nicht real waren, sondern lediglich meiner verzerrten Wahrnehmung entsprangen.

„Schwere Depressive Episode mit psychotischen Symptomen“, so war es mir vor vier Jahren diagnostiziert worden, und auch, wenn ich dieses Mal keinen Arzt aufgesucht habe, weil ich ja gar nicht wusste dass etwas nicht stimmte, bin ich mir doch sicher, dass das auch dieses Mal wieder der Fall war.

Die Halluzinationen haben mittlerweile nachgelassen, und wahrscheinlich habe ich auch nur deshalb realisiert, wie schlecht es mir geht. Wie gesagt, diese Gedanken sind schon lange da, haben sich angeschlichen und sich in meinem Verstand manifestiert.

Ich sitze schon lange auf dem Grund des Mariannengrabens. Alleine und isoliert.

Aber erst jetzt sind da diese Gefühle, die eigentlich keine sind, denn eigentlich ist da bloß Leere in mir; tiefe, schwere Leere. Es fühlt sich an als würde etwas auf meinem Brustkorb hocken, etwas Schweres, das das Atmen kaum möglich macht, das die Luft aus meiner Lunge presst bevor sie wirklich dort ankommt.

Ich spüre mich nicht mehr; ich habe keinen Hunger, keinen Durst. Fühle keine Schmerzen.

Die Halluzinationen sind verschwunden, und doch fühlt sich alles um mich herum surreal an. Ich scheine mich langsamer zu bewegen als es normal sein sollte, wie in einem Alptraum, in dem man vor etwas davonlaufen will, aber nicht von der Stelle kommt. Meine Umgebung wirkt verzerrt, verschwommen. Ich kann es nicht wirklich beschreiben, aber all das, die Leere, das Gefühl von Schwere, die verzerrte Wahrnehmung lässt mich an ein schwarzes Loch denken, das durch seine schiere Masse Zeit beeinflusst und Licht verschlingt.

Der Druck der Tiefsee im Mariannengraben. Die lichtverzehrende Gravitation eines schwarzen Lochs.

Ich kann das alles nicht mehr, und ich will es auch nicht mehr. Ich wünschte, ich hätte es damals schon geschafft, denn dann wäre Raya noch am Leben und ich kein Mörder… auch wenn der Gedanke, dass sie dich verletzt hätte, mich wahnsinnig macht!

Das hier ist das Ende. Eine Sackgasse. Ich kann nicht mehr weitermachen, dazu habe ich einfach nicht die Kraft. Ich kann diese Gedanken nicht mehr ertragen, die Bilder in meinem Kopf; Szenen voller Blut und Tod, begleitet von Wut und Hass…

Ich bin krank, und das auf mehr als eine Art.

Und ich kann das einfach nicht mehr.

Ich kann dich nur noch ein letztes Mal bitten, mir zu verzeihen. Dass du diesen Brief bis hier her gelesen hast ist schon mehr, als ich zu träumen gewagt hätte.

Es tut mir leid, dass ich die Person getötet habe, die du geliebt hast, auch, wenn ihre Liebe zu dir nicht echt war. Es tut mir leid, dass ich, die Person von der du immer wieder gesagt hast dass sie dein bester Freund wäre, derart krank und gestört bin, dass ich zu so etwas fähig war. Dass ich ein Mörder bin. Dabei habe ich Raya in Wahrheit noch nicht einmal gehasst, nicht wirklich… ich wollte einfach bloß, dass sie aufhört.

Ich werde wohl nie erfahren, ob du mir vergeben kannst. An ein Leben nach dem Tod glaube ich nicht, und dieses Mal verlasse ich mich nicht darauf, dass die Schlaftabletten aus dem Badezimmerschrank genügen, um es zu beenden.

Dieses Mal weiß ich mit Sicherheit, dass es reicht.

Es tut mir leid, dass es so endet.

Ich wünsche dir alles Gute, hoffe, dass du jemanden findest den du so sehr liebst wie es der Raya der Fall gewesen war, und der diese Liebe auch erwidert.

Ich hoffe so sehr, dass du glücklich werden wirst.

-------------

Mit leerem Blick ließ er das Blatt sinken, legte es auf seinen Schoß.

Er wusste nicht, das wievielte Mal es gewesen war, dass er es gelesen hatte – noch häufiger als den anderen Brief; den, der achtzehn Seiten lang war und der in dem Umschlag mit der großen Eins darauf gesteckt hatte.

Dieser hier war um einiges kürzer, aber dafür bei Weitem intensiver.

Mittlerweile schaffte er es, nicht mehr jedes Mal in Tränen auszubrechen, auch, wenn es ihm schwer fiel, und jedes Mal aufs Neue nahm er sich vor, den Brief nun beiseite zu legen, ihn nicht noch einmal zu lesen…

Doch der Drang war zu stark. Der Drang zu verstehen, was dort geschrieben stand.

Nichts davon ergab einen Sinn. Keiner der beiden Briefe.

Die dunklen Gedanken konnte er seinem Freund nicht absprechen, wusste er doch nur allzu gut, mit was für Problemen dieser schon seit Jahren zu kämpfen hatte, dass er bereits einen Suizidversuch überlebt hatte.

Aber der Rest. Der Teil mit Raya. Die Schilderungen dessen, was angeblich geschehen war…

Es wirkte wie ein schlechter Film; aber selbst in einem schlechten Film wäre das sinnlos gewesen!

Irgendwo hörte er etwas Klingeln, doch er beachtete dieses Geräusch nicht, starrte stattdessen weiter auf den Brief, in der Hoffnung, dass ihm dieses Mal endlich die Erleuchtung ereilen würde… doch dem war nicht so.

Es war einfach genau so verwirrend wie die letzten, unzähligen Male.

„Depressive Episode mit psychotischen Symptomen“ stand dort geschrieben, und das war wohl der einzige Hinweis auf eine Erklärung, den dieser Text ihm bot… doch konnte das wirklich sein? Konnten diese Halluzinationen, diese Wahnvorstellungen, wirklich derart weit gehen, dass…

In diesem Augenblick wurden seine Gedanken von einer lauten Stimme unterbrochen, deren Urheber bloß wenige Meter von ihm entfernt zu stehen schien.

Er hatte nicht verstanden, was sie gesagt hatte, zu tief war er in seinen Überlegungen versunken gewesen, dennoch hob er nun den Blick, drehte den Kopf. Gleichzeitig registrierte er, dass das Klingeln im Hintergrund verstummt war, und als er nun seine Mutter vor sich erblickte, in einer Hand den Hörer des Telefons, war ihm auch klar weshalb.

Fragend blickte er sie an. Ihren Gesichtsausdruck konnte er nicht recht deuten; sie sah bleich aus und irgendwie gehetzt, und ihre Augen hatten einen seltsamen Glanz als könne sie sich nicht entscheiden ob sie lachen oder weinen sollte…

„Mom?“, fragte er vorsichtig, und er merkte, dass seine eigene Stimme zitterte. „Ist alles in Ordnung?“

Einige Augenblicke lang schwieg sie. Schien ihre Gedanken ordnen zu müssen, und ihre Finger krallten sich in den Hörer als würde dieser ihr Halt geben.

Schließlich jedoch begann sie zu sprechen. Es war bloß ein einziger Satz, bloß drei kurze Worte, doch reichten diese aus, damit er sich fühlte als habe ihm jemand den Boden unter den Füßen weggerissen. Hätte er nicht auf dem Sofa gesessen wäre er wahrscheinlich umgekippt; ein Schuss von Adrenalin fuhr durch seinen Körper und ließ ihn zusammenzucken; mit weit aufgerissenen Augen starrte er seine Mutter an während seine Hände sich in den Stoff der Kissen bohrten, und Styx, der die ganze Zeit über still neben ihm gelegen hatte, hob nun den Kopf und stieß ein nervöses Winseln aus.

Wieder war es einige Sekunden lang still.

Verzweifelt versuchte er seine Gedanken zu ordnen, blinzelte mehrmals, als müsse er sich davon überzeugen, nicht zu träumen; aber das tat er nicht, er war wach, das hier war echt… und seine Mutter hatte wirklich gesagt…

„Wie bitte?“, krächzte er, und seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Ich… was hast du gesagt?“

Mom, die noch immer nicht viel gefasster wirkte als er selbst, erwiderte seinen hektischen Blick. Strich sich mit einer Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht, und nun gelang es ihr sogar, ein unsicheres, aber doch deutliches Lächeln aufzusetzen, als sie erwiderte: „ Das war das Krankenhaus. Sie haben gesagt: Er ist aufgewacht.“

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